Hamburger Bergkletterin bei einer Hochsee-Fahrtensegler-Regatta
von Dr.Eva Miersch
Haben Sie schon einmal Regatta gesegelt? Nein? Ich auch nicht, zumindest bis vor ein paar Tagen nicht. Trotzdem ich in Hamburg aufgewachsen bin, hatte ich nie irgendeine Verbindungen zum Segeln erlebt. Dann brachte mich ein Freund auf die Idee und nach einer Umrundung Mallorcas unter Segeln, einem YACHT-Skippertraining mit Thomas Dengler und Bobby Schenk und der Teilnahme am Round Palagruzza Cannonball‘12 war ich gefühlt im Turbogang beim Segeln gelandet. Nicht ganz unschuldig waren dabei allerdings auch führende Personen des YCA. Nun also die Einladung zum S-Cup in Kroatien, dem Steirischen Cup der Fahrtensegler mit Spinnaker.
In Jezera angekommen, inmitten vieler segelerfahrener Österreicher beschleichen mich erste Zweifel, ob ich mir nicht doch noch ein paar Jahre mehr Zeit hätte lassen sollen.
Aber nach dem mir eröffnet wurde, daß ich aufgrund meiner Klettererfahrung in den Bergen und meiner Körpergröße von 1.87m geradezu prädestiniert wäre das Vorschiff zu übernehmen, war ich mitten drin.
Die Ausstattung der Benneteau First 35 besteht zum weit überwiegenden Teil aus Leinen, Klemmen und Blöcken in einem nicht sofort zu durchschauendem Ausmaß. Im Vorschiff liegt der Spibaum angeschlagen an der Steuerbordseite der Reling und schaut mich an. Niederholer, Toppnant und doppelte Spischoten verteilen sich bereits undurchschaubar im Vorschiffraum.
Wir fahren raus. Nein, ich fahre raus, weil alle anderen können das ja. Strahlend blauer Himmel, herrlichste Sonne und leichter Wind, alles blödelt und ich bin nervös. Nach dem Setzen von Groß und Genua geht es los. Spibaum am Mast anschlagen, hochziehen, am Seil die Höhe mit Kugelschreiber kennzeichnen, Spibaum über den Bugkorb legen, Achterholer einpicken, bis hierhin total easy. Spifall an Topschot vom Spinnaker in der Luke anschlagen, Steuerbord Spischot am Achterholer vorziehen und Spinnaker setzen. Ok, verstanden.
Es würde jetzt zu weit führen würde ich jetzt das Thema Halse, Luv und Lee Bergung etc. weiter ausführen. Aber ich glaubte bis dahin, irrwitzigerweise, immer einen gewissen Intelligenz-Quotienten mitzubringen. Und wurde eines Besseren belehrt. Nach gefühlten 100 x Spi hoch, halsen, Spi runter, Spibaum hin und her und ich weiß nicht was noch alles, liege ich abends in meinem Bett und kann nicht einschlafen. Wie beim Sportklettern, beim Lösen schwieriger Schlüsselstellen, versuche ich alles in Gedanken zu visualisieren und bekomme im Bett liegend nasse Hände.
Nächster Tag Regattatraining mit Arthur Thüringer. Ich tobe auf dem Vorschiff herum und schaffe es ständig irgendeine Schot an falscher Stelle unter dem Spibaum zu haben, oder das Spifall in den Niederholer einzuarbeiten. Verdammter Mist, das kann doch nicht so schwer sein. Unser Taktiker erklärt mir auch noch, ich wäre zu leise auf dem Vorschiff. Na das hat mir lange keiner mehr gesagt. Vom Co-Skipper der Hinweis: „Du mußt uns zubrüllen was du brauchst, egal in welchem Ton“. Gut, „Toppnant los“, „Spifall los“, „Achterholer dicht“, „mit mehr Gefühl!“ brülle ich also die Kommandos nach hinten. Plötzlich läuft es. Der Ehrgeiz packt mich. Ich bin unter Adrenalin und nachdem wir ununterbrochen im Training neu starten, wenden, Spinnaker setzen, um ihn 5 Minuten später wieder zu bergen und neu zu starten, fängt es an Spaß zu machen. Ich brülle die Kommandos und erst als das Training von Arthur beendet wird, merke ich wie platt ich bin. Segeln ist super. Kurzer Kommentar vom Skipper: „ Es ist immer wieder komisch, was das Vorschiff aus eigentlich netten, lieben, ruhigen Menschen alles machen kann“.
Dienstag morgen. Regattastart. Ich stehe am Vorstag und zeige Startboje und verbleibenden Abstand zur Startlinie an. Unser Taktiker zählt laut die Zeit runter. 20 Yachten jagen unter Starkwind auf die Startlinie zu. Angst? Nein, aber Respekt. Würde uns jetzt eine Yacht rammen, würde ich den Gesetzen der Physik folgend vermutlich mitten unter den Steven der umliegenden Yachten landen. Unser Start war nicht überragend, aber wir sind auf der Kreuz. Auf der Kante sitzend konzentriere ich mich auf das erste Setzen des Spinnakers an der Boje und merke wie ich nervös werde, hoffentlich geht alles gut. Nichts geht gut. Ich hänge irgendwo mit den Füßen fest, verheddere mich und wäre fast mitsamt Spi über die Reling geschossen. Wir haben Zeit verloren. Die folgende Halse läuft trotz nass geschwitzter Hände einigermaßen gut. Beim Bergen gelange ich unter den Spi, bin wie in einem Tunnel aus 90 Quadratmeter Tuch eingehüllt und merke wie ich den Fußhalt an der Reling verliere. Irgendwie ist das Tuch dann aber doch irgendwann in der Luke verschwunden, ich bin wieder frei. Aber die freie Genuaschot ist unter dem Spibaum, wir können nicht wenden. Ich ziehe die Schot im Eiltempo aus und fädele sie neu über dem Baum ein, endlich können wir wenden. Wieder Zeit verloren, so ein Mist. Zweite Runde läuft besser, aber wir kommen erst als 10. ins Ziel. Ich habe Mist gebaut und fühle mich schuldig. Zehn Minuten zum nächsten Start. Mein Gehirn schaltet auf, den früher im Leistungsport trainierten, Tunnelblick um. Unfaßbares Gefühl. Konzentriere mich beim Start, wir sind als Vierte über der Linie. Die Kreuz läuft, wir verlieren etwas, aber vor der Boje habe ich den Spibaum fertig, alles klar zum Setzen. Der Spinnaker steht in rasender Geschwindigkeit. Fehlerfrei. Ich bleibe die ganze Zeit auf Tunnelblick. Die ganze Crew arbeitet sensationell und hoch konzentriert, wir passieren als sechste und im nächsten Race als fünfte die Ziellinie. Im vierten und letzten Rennen des Tages, verpassen wir etwas den Start und an einer Boje gibt es Diskussion mit einem anderen Schiff. Der andere Skipper setzt die Protestflagge und so erleben wir am Ende des Tages auch noch dieses Thema. Es wird entschieden, wir sind im Unrecht und fliegen in der Wertung des letzten Rennens auf Platz 19. Somit brauchen wir auch nicht mehr über die Auswahl des Streichergebnisses lange nachzudenken. Wie sagen die Österreicher so schön? Is eh wurscht. Gestrichen fertig. Beim Abendessen herrscht trotzdem ausgelassene Stimmung. Wir haben alle Blut geleckt. Da geht was mit dieser Crew und wir verstehen uns super. Mit Bauchmuskelschmerzen von dem vielen Lachen schleichen wir alle satt und müde ins Bett.
Der zweite Regattatag begrüßt uns wieder mit strahlend blauem Himmel und Sonne satt, aber leider auch mit nur mäßigem Wind. Das erste Rennen, mit zwei up and downs, beenden wir als sechste. Alles läuft gut und unser Spinnakertrimmer scheint heute seinen Tag zu haben.
Es geht auf die Langfahrt mit Navigationwettfahrt und der Wind läßt uns alle um die Mittagszeit komplett im Stich. Jeder Skipper versucht in kompletter Windstille schneller zu stehen als die anderen. In die leise Rumsteherei hört man immer wieder den Ruf einer österreichischen Commodore über das Wasser schallen „wir fahren, es kommt“.
Endlich haben wir ein Windfeld erreicht und es geht ganz langsam los. Alles schleicht an Bord wie lautlose Katzen. Bloß nicht bewegen, das Schiff reagiert mit leisem Rauschen. Wir trimmen mit unserem Gewicht so vorsichtig, als würde man ein zickige Lady auf keinen Fall verärgern wollen. Der Wind wird mehr und unser Spinnakertrimmer macht über Stunden einen sensationellen Job. Wir sind aus der Flaute als vierte herausgekommen. Die ersten drei sind weit entfernt vor uns gerade noch zu erkennen, aber auch hinter uns entsteht nach und nach ein riesen Loch zum Hauptfeld. Der Anblick des Feldes unter Spinnaker achteraus in der Sonne treibt einem die Tränen in die Augen, so unglaublich schön ist es.
Wir runden die Tonne und halten auf das folgende Gate zu. Eine Yacht hinter uns holt unvorstellbar auf. Haben die einen privaten Wind? Die Wettkampfleitung verkürzt, wegen der langen Flaute, die Strecke und wir halten auf das Ziel zu. Die Yacht hinter uns ist dicht auf. Die letzte Halse vor dem Ziel wird alles entscheiden, hinter uns wird gehalst, wir warten. Unser Taktiker bleibt cool, alle sind zum Zerreißen angespannt. Ich bete drei Vaterunser, daß meine Halse gut gelingt. Jetzt, wir halsen in super Slomotion ganz fein, aber perfekt. Vierter.
Am letzten Tag herrscht Flautenkrieg. Der Wind läßt uns komplett im Stich. Bis 14 Uhr muß die letzte Wettfahrt gestartet sein, sonst fällt sie weg. Wir liegen derzeit auf dem siebten Platz und haben noch die Chance auf Platz fünf, aber auch das Risiko auf Platz 9 zurückzufallen. Alles ist eng. Wir sind seit dem Frühstück gegenseitig am Motivation powern: „Der dritte Tag ist unser Tag“ reden wir uns ständig ein. Nach stundenlangem Rumstehen in der Nähe der Startlinie, wird wieder erwarten doch noch um 13.40 gestartet. Wir sind sensationell als erster über der Linie, aber hinter uns herrscht Chaos. Zwei Schuß, Start abgebrochen. Neustart als Black-Flag-Start. Alle haben Angst an Bord, jetzt bloß keinen Frühstart und ausscheiden, wir passieren als 12. die Linie bei wenig Wind. Alle schleichen an Bord, liegen in Lee und rollen bei jeder Wende ganz langsam zur anderen Seite. Ich kann vorne liegend nichts sehen und bekomme nichts mit. Ich baue ganz vorsichtig den Spibaum auf und wir sind unvorstellbar gefühlvoll, aber schnell beim Setzen des Spi’s. Bereits zwei Plätze aufgeholt, unter Spinnaker läuft es noch besser. Unser Taktiker wählt einen anderen Weg als alle anderen und wir haben Glück. Wir bekommen eine eigene Böe und überholen bei kaum Wind weitere drei Yachten. Die Strecke wird wieder verkürzt, wir passieren als siebte die Ziellinie. Riesen Trubel an Bord. Alle Anspannung bricht los. Wir feiern aufgedreht wie kleine Kinder unseren 7. Platz.
Sind sie schon einmal Regatta gesegelt? Nein? Sollten Sie aber, sie verpassen sonst etwas. Aber achten sie darauf es nur mit so einer super Crew wie der Unseren zu machen, sie werden es dann immer wieder tun wollen, denn es macht süchtig!